Folge 30 - Der Erlkönig und andere Gruselwaldgedichte (Goethe, Hebbel, Fontane)

Lyrikschule - A podcast by Johannes Thiele

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Der Wald ist ein wichtiges Motiv in der Literatur: Mal mystischer Ort, mal nüchtern betrachtete Ansammlung von Bäumen, mal Gegenwelt zur Stadt und dann auch Ort der Ängste des Menschen. In dieser Folge werden drei Waldgedichte besprochen, die vor allem die dunkle Seite des Waldes hervorheben und unsere Angst als Menschen in ihm. Der Text zum Erlkönig: https://de.wikisource.org/wiki/Erlk%C3%B6nig  Essay: Schuberts Erlkönig - Spur einer Vergewaltigung (Georg Friedrich Haas) https://van-magazin.de/mag/georg-friedrich-haas-schuberts-erlkoenig/  Böser Ort (Christian Friedrich Hebbel) zwischen 1838 und 1843 Ich habe mich ganz verloren, Wie ist hier Alles stumm! Es drängen die schwarzen Bäume Sich tückisch um mich herum. Sie wollen mich nicht mehr lassen, Mich aber treibt es fort, Man spricht von bösen Orten, Dieß ist ein böser Ort! Hier ist schon Böses geschehen, Und hier muß mehr gescheh'n, Wird's nicht an ihm begangen, So muß es der Mensch begeh'n. Die Blumen, so hoch sie wachsen, Sind blaß hier, wie der Tod, Nur Eine in der Mitte Steht da in dunklem Roth. Die hat es nicht von der Sonne, Nie traf sie deren Glut, Sie hat es von der Erde, Und die trank Menschenblut! Du sollst dich nicht länger brüsten Auf meines Bruders Grab In deinem gestohl'nen Purpur, Ich räch' ihn und breche dich ab! Dort liegt sie zu meinen Füßen! Da schwingt ein Vogel sich, Setzt sich mir gegenüber Und pfeift und verspottet mich. »Jetzt läßt der Ort dich weiter, Da ihm sein Recht geschah, Du hast die Blume getödtet, Es war nichts Anders da.« Im Walde (Theodor Fontane) 1840 Der Wald wird immer dichter und dunkler wird die Nacht; „Was bäumst du dich, mein Rappe, was hat dich scheu gemacht? Du siehst wohl rings am Wege die Trauerweiden stehn Und ahnst, dass in dem Walde gar Arges schon geschehn!“ Wie schaurig Geisterklänge durch alle Wipfel ziehn, Gespenstisch Riesenschatten an mir vorüberfliehn, Die alten Föhren starren mich düstren Blickes an Und wehren mit den Armen mir späten Reitersmann. Doch mit geschärften Sinnen trabt Ross und Reiter fort, Und düstrer wird’s und stiller rings an dem Schreckensort; Da plötzlich hellt das Dunkel des Mondes blasser Schein, Da stört die Grabesstille des Birkhuhns heisres Schrein. Mein Herz klopft immer stärker an meine bange Brust, Schon reit ich schnell und schneller mir selber unbewusst, Da stutzt mein Ross aufs neue vor einem Kreuz von Stein, Dort soll vor vielen Jahren ein Mensch erschlagen sein. Mein Auge schließt sich krampfhaft, mein Blut erstarrt zu Eis. Das Blut des Rappen rieselt aus Sporenwunden heiß. So jag ich, bis der Morgen die düstre Nacht gebleicht, Bis ich den Rettungshafen, des Waldes Saum, erreicht.

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